Die Architektur muss romantisiert werden. So findet man den ursprünglichen Sinn wieder.[1]
Uwe Schröder
[Symposium über unsere Zukunft, 30. Juni 2019, Staatliche Akademie der bildenden Künste Stuttgart]
„Denk ich an Deutschland in der Nacht,“[2]dann stellt es mir seine Geschichte selektiv und von Brüchen gekennzeichnet vor; Denk ich an Architektur in der Nacht, dann stellt sie mir ihre Geschichte aufeinanderfolgend und als ein Kontinuum vor. Zwei Geschichten, zwei Vorstellungen: Meine erste kommt obgleich – vielleicht auch wegen – einer seit Jahrzehnten sich entwickelnden Erinnerungskultur in Deutschland – die ich vorbildlich heiße: „Alle Erinnerung ist Gegenwart“ (Novalis) – nicht über Ereignisse der jüngeren Vergangenheit hinaus, nicht über das 20. Jahrhundert. Die zweite führt indes tiefer hinab, und stellt mir Architektur als gebundene Ideengeschichte vor, die mich aber weit weniger auf nationale Grenzen, als vielmehr und immerzu auf kontinentale Übergänge hinzuweisen scheint. Schon von daher, wegen beider Geschichten, käme mir die Frage nach „nationaler“, oder „deutscher“ Architektur nicht in den Sinn, geschweige denn eine Antwort...
Hypothese: Die Modernisierung, auch und vor allem diejenige, der Architektur, ist von zwei, scheinbar gegenläufigen Prozessen gekennzeichnet: von einer nivellierenden Globalisierung und von einer differenzierenden Individualisierung. Für die drängenden Fragen, die sich – geographisch gesehen – vermeintlich aus der Ferne und aus der Nähe – von „außen“ und von „innen“ – an die Architektur stellen, erscheint m.E. der Maßstab der Nation und der Nationalität als gegenwärtig vollkommen unpassend, als entweder zu klein oder auch zu groß gewählt. Denn soll der Krise der Disziplin, die sich in einer Erosion ihrer Grundlagen darstellt, Einhalt geboten werden, dann hat Architektur auf beide Herausforderungen angemessen und vor allem maßstäblich zu reagieren: Auf das Globale mit Aufmerksamkeit für das Lokale: als eine Architektur der Orte; Auf das Individuelle mit Aufmerksamkeit für das Generelle: als eine Architektur der Gesellschaft.
Was wir brauchen, ist eine „qualitative Potenzierung“[3], für die Novalis schon die Losung ausgegeben hatte: „Die Welt muß romantisiert werden. So findet man den ursprünglichen Sinn wieder.“ (...) „Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.“[4]
[1] Novalis, Fragmente und Studien (1797 – 1798), in: Ders., Werke, Schulz, Gerhard (Hg.), 5. Aufl., München 2013, S. 384f.
[2] Nach dem Eingangsvers im Gedicht Nachtgedanken (1843) von Heinrich Heine, in: Ders., Sämtliche Gedichte in zeitlicher Folge, Briegleb, Klaus (Hg.), 10. Aufl., Frankfurt am Main/Leibzig 2015, S. 446.
[3] Novalis, 2013, S. 384.
[4] Novalis, 2013, S. 384 - 385.
Projekt: Haus im Burggarten
Anmerkung/en: [Domus academica. Projekt: Entwurf, Ausführung]
Ort: Bonn
Jahr: 2008 - 2020