Porös wie dieses Gestein ist die Architektur. Bau und Aktion gehen in Höfen, Arkaden und Treppen ineinander über. In allem wahrt man den Spielraum, der es befähigt, Schauplatz neuer unvorhergesehener Konstellationen zu werden. Man meidet das Definitive, Geprägte. Keine Situation erscheint so, wie sie ist, für immer gedacht, keine Gestalt behauptet ihr »so und nicht anders«. So kommt die Architektur, dieses bündigste Stück der Gemeinschaftsrhythmik, hier zustande.[1]
Walter Benjamin, Neapel (1925)
Vorwort
Allzu oft hält uns das Denken in verschiedenen Maßstäben davon ab, Stadt und Haus als einen organismischen Zusammenhang vorzustellen. Nicht schon an der Fassade endet die Räumlichkeit der Stadt und nicht erst jenseits der Wand beginnt die andere des Hauses, vielmehr schließt die Raumhaltigkeit der Wand mit ihren verfeinerten Öffnungen beide in abgestuften Raumfolgen aneinander an. Eine wirklich räumliche Vorstellung von Architektur hebt die dualistische Vorstellung von Stadt und Haus schlussendlich auf: Die räumlichen Sphären des Städtischen und des Häuslichen durchdringen einander, mal mehr mal weniger verschieben sich Grenzen zwischen drinnen und draußen. Die Gestaltung dieser räumlichen Situationen mit reziprok überlagerten Widmungen, wie Öffnungen, Übergänge, Passagen, Zwischenräume usw. ist die Aufgabe städtischer Architektur. In keiner anderen Stadt ist diese „Porosität“ im Wohnen angefüllter, als in Neapel, der Stadt, der dieses Buch gewidmet ist...
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[1] Walter Benjamin und Asja Lacis, Neapel, in: Rexroth, T. (Hrsg.), Walter Benjamin. Gesammelte Schriften, IV-1, Frankfurt am Main 1991, S. 307ff.
Autor: Uwe Schröder
Titel: Vorwort (Neapolis)
Sammelband/Zeitschrift: , in: Schröder, Uwe (Hg.), Neapolis. Studien zur Räumlichkeit der Stadt Neapel
Serie: Materialien zu Geschichte, Theorie und Entwurf städtischer Architektur
Band: 6
Verlag: Ernst Wasmuth Verlag
Ort: Tübingen/Berlin
Datum: 2016
Seite(n): S. 6-7
ISBN: 9783803009357
ISSN: 2364-7663
Publikationen: Neapolis. Studien zur Räumlichkeit der Stadt Neapel, Über das architektonische Denken. Ein Gespräch mit Uwe Schröder geführt von Renato Capozzi und Francesco Sorrentino